21.02.2023

Harmonisierung des Insolvenzrechts: Unternehmen können entspannen

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Autor(en) / Quelle(n): Louis Leinweber / Finance Magazin

Die EU-Kommission plant seit Längerem die europaweite Harmonisierung im Bereich Insolvenzrecht. Wie sehen die Brüsseler Pläne aus? Und wie sind sie zu bewerten?

Ende vergangenen Jahres hat die EU-Kommission den lang erwarteten Richtlinienentwurf zur Harmonisierung im Bereich Insolvenzrecht präsentiert. Damit will die Kommission die Kapitalmarktunion beschleunigen. Der Entwurf beinhaltet vor allem Vorschläge für die Insolvenzverwaltung und Distressed M&A. Was bedeuten die Pläne für deutsche Unternehmen?

Mit Blick auf das Insolvenzrecht haben die EU-Staaten sehr unterschiedliche nationale Regelungen. Die unterschiedlichen Vorschriften seien ein „erhebliches Hindernis für die Weiterentwicklung der Kapitalmarktunion“, teilte die Kommission bei der Veröffentlichung des Entwurfs mit. Die unterschiedlichen Insolvenzregelungen innerhalb der EU führten „nicht nur zu Rechtsunsicherheit und behindern Investitionen über EU-Grenzen hinweg, sondern auch zu überlangen Beitreibungsfristen und hohen Gerichtskosten“, sagte beispielsweise EU-Kommissar Didier Reynders.

Mit der neuen Regelung sollen Insolvenzverfahren schneller grenzübergreifend abgewickelt werden und effizienter werden.

Vermögenswerte leichter aufspüren
Ein Punkt des Entwurfs betrifft das Thema Insolvenzmasse. Demnach sollen die zählenden Vermögenswerte besser auffindbar gemacht werden. Robert Hänel, Partner bei der Kanzlei Anchor und spezialisiert auf das Insolvenzrecht, findet die Verbesserungen beim sogenannten Asset Tracing „sinnvoll und hilfreich“.

Demnach sollen Insolvenzverwalter künftig grenzüberschreitend leichteren Zugriff auf Vermögensdatenbanken wie Katasterregister, Grundbücher oder Fahrzeugs-, Schiffs- und Luftfahrzeugregister erhalten. Für Hänel nicht nur ein „gebotener“, sondern „notwendiger“ Schritt, um schnellere Ergebnisse und tatsächliche Effizienzgewinne zu erzielen.

Hänel, der auch im Verband der Insolvenzverwalter und Sachwalter sowie im europäischen Dachverband European Insolvency Practicioners tätig ist, findet auch die im Entwurf vorgesehenen Mindeststandards für eine Insolvenzantragspflicht gut. So soll das Management spätestens drei Monate nach Erkennbarkeit der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens zur Stellung eines Insolvenzantrags verpflichtet sein. Wertverluste für die Gläubiger sollen auf diese Weise möglichst verhindert werden, erläutert Hänel.

Schärfere Antragspflichten in Deutschland
In Deutschland sind die Fristen zur Stellung eines Insolvenzantrages mit drei Wochen bei Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen bei Überschuldung übrigens deutlich schärfer. Die fehlende Vereinheitlichung und Definition von Insolvenzgründen stelle hier das eigentliche Problem dar: Je nachdem, was als Insolvenzgrund angesehen wird, ergeben sich „Spielräume für eine Antragsstellung, die auch zum Nachteil der Gläubiger genutzt werden können“, sagt Hänel.

In manchen Mitgliedstaaten gibt es bislang keine oder keine mittels einer Frist konkretisierte Antragspflicht mit der Folge persönlicher Haftung des Managements bei Verletzung der Pflicht. Der Richtlinienvorschlag will daher einen Mindeststandard zur Antragspflicht bei Zahlungsunfähigkeit einführen.

Die Frist zur Antragsstellung darf nach dem Willen der Kommission maximal drei Monate ab Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit betragen. Außerdem soll das Management bei einer Verletzung dieser Frist persönlich haften. „Drei Monate sind in der Tat relativ lang, aber den Mitgliedstaaten steht es frei, strengere Regeln beizubehalten oder einzuführen“, sagt Hänel.

Einheitliche Regeln im Bereich Distressed M&A
Ein weiteres Novum ist das sogenannte Pre-Pack-Verfahren, das Distressed-M&A-Deals vereinfachen soll. Ein Unternehmensverkauf soll dabei schon in einer Vorbereitungsphase zum eigentlichen Insolvenzverfahren ausgehandelt werden. Zu Beginn der Liquidationsphase soll der Kauf vom Insolvenzgericht bestätigt und dann zügig abgewickelt und die Erlöse an die Gläubiger ausgezahlt werden.

Das Verfahren ist vor allem im anglo-amerikanischen Bereich schon länger bekannt und ähnelt der deutschen Praxis im vorläufigen Insolvenzverfahren. Entsprechende Sonderregeln wären in Deutschland daher kein völliges Novum. „Mit guter Vorbereitung können Distressed-M&A-Deals deutlich beschleunigt werden“, sagt Hänel.

Allerdings sei das Pre-Pack-Verfahren nach dem Richtlinienvorschlag mit einer Reihe von Umsetzungsproblemen behaftet. So sollen Betriebserwerber auch ohne Zustimmung der Vertragspartner Vertragsverhältnisse übernehmen können und Gläubiger kaum Mitspracherechte haben.

„Die Beschränkung der Rechte von Vertragspartnern und Gläubigern bietet ein hohes Konfliktpotential, wenn nicht sichergestellt wird, dass der Verkauf marktkonform und unter Ausschluss von Insiderinformationen erfolgt“, gibt Hänel zu bedenken. Zudem seien kurzfristige Wechsel von Vertragspartnern aus Compliance-, Datenschutz- und organisatorischen Gründen oft nicht machbar – insbesondere für Unternehmen sei das eine Herausforderung.

Anfechtungsrecht folgt deutschem Insolvenzrecht
Weiter soll eine europaweite Mindestharmonisierung des Insolvenzanfechtungsrechts erfolgen. Die einheitlichen Mindeststandards betreffen vor allem Anfechtungsgründe und -fristen sowie die Rechtsfolgen einer Anfechtung. „Bei einigen Mitgliedsstaaten ist das Anfechtungsziel der Gläubigergleichbehandlung wegen der Rangfolgen von Insolvenzforderungen aber schwierig umzusetzen“, so Hänel.

Denn die Rückgängigmachung individueller Bevorzugungen zur Umverteilung der Vermögenswerte nach dem Kollektivinteresse werde durch unterschiedliche Rangfolgenkataloge „verwässert“.

„Die Alternative wäre eine politische Grundsatzdiskussion über Insolvenzgründe und Rangfolgen gewesen. Hier hätten „Harmonisierungsbestrebungen – etwa zu Abschaffung von Fiskusvorrechten – aber wenig Erfolgsaussicht und damit die Gefahr mit sich gebracht, dass sie „die Richtlinie insgesamt blockieren“, sagt Hänel.

Als „größter Aufreger des Richtlinienvorschlags“, sagt Hänel, können schon jetzt die Sonderregeln für die Liquidation von Kleinstunternehmen ausgemacht werden, die nach Vorstellung der Kommission standardmäßig verwalterlos stattfinden soll. Hier würde eine Umsetzung die entschiedensten Veränderungen im deutschen Recht erfordern. Allerdings glaubt Hänel, dass dieses Verfahren im Gesetzgebungsprozess noch deutliche Anpassungen erfahren wird: „Das aktuelle Konzept ist sehr akademisch und die praktische Umsetzbarkeit in verschiedenen Punkten unrealistisch“, so seine Einschätzung.

Kaum Auswirkungen auf deutsche Unternehmen
Insgesamt findet Hänel, dass der Entwurf dem Ziel einer EU-weiten Harmonisierung im Bereich Insolvenzrecht und steigenden Effizienzgewinnen für die Union nur bedingt gerecht werde. Vor allem, weil wesentliche Themen ausgespart blieben und die Mitgliedsstaaten in der Umsetzung der Richtlinie in das nationale Insolvenzrecht immer noch erhebliche Spielräume hätten.

Nach den interinstitutionellen Verhandlungen – insbesondere mit EU-Parlament und -Rat – soll Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres die endgültige Fassung der Richtlinie vorliegen. Abgesehen vom Pre-Pack und dem potentiellen Spezialregime für Kleinstunternehmen werde sich mit Blick auf Deutschland und hiesige Unternehmen, so Hänel, gar nicht so viel ändern, da „unser geltendes Recht in vielem bereits dem Richtlinienvorschlag entspricht oder darüber hinaus geht“.

Nach der Verabschiedung der Richtlinie erhalten die Mitgliedsstaaten in der Regel zwei Jahre diese umzusetzen. Ausreichend Zeit also, damit die Mitgliedsstaaten ihr Insolvenzrecht anpassen und auf den neuesten Stand bringen können.

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