12.10.2022

Droht Düsseldorf eine Insolvenzwelle?

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Autor(en) / Quelle(n): Julia Nemesheimer / RP ONLINE

Düsseldorf. Viele Menschen fürchten in den nächsten Monaten eine Insolvenzwelle unter anderem wegen steigender Energie- und Materialkosten. Experte Dirk Andres bewertet die Situation für Düsseldorf.

Als Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht hat Dirk Andres, der bereits seit 2001 als Insolvenzverwalter und seit 2007 als Fachanwalt für Insolvenzrecht tätig ist, einen guten Überblick über die wirtschaftliche Lage im Raum Düsseldorf.

Herr Andres, wie ist die Lage für Düsseldorf aktuell?

ANDRES: In Düsseldorf ist der Insolvenzmarkt noch relativ ruhig. Wir haben hier nicht so viele energieintensive Betriebe wie etwa im Ruhrgebiet. Düsseldorf ist traditionell vor allem im Dienstleistungsbereich tätig und weniger in der Produktion. Allerdings sind diese auf die Produkte von Zulieferern angewiesen.

Und das könnte in Zukunft zu Problemen führen?

ANDRES: Genau. Je weniger Geld die Menschen zur Verfügung haben, desto weniger können sie verständlicherweise auch ausgeben. Darunter leiden dann auch Einzelhandel, Gastronomie oder ähnliche Branchen. Ich glaube daher, dass Düsseldorfer Unternehmen von den Energiekosten gar nicht so hart getroffen werden. Hier wird es eher Folgewirkungen geben, und etwaige Probleme werden etwas verspätet ankommen.

Wo kommt es derzeit noch zu Problemen?

ANDRES: Die Baubranche ist derzeit auch besonders betroffen. Hier – aber auch in fast allen anderen Bereichen – fehlt die Planungssicherheit. Die Materialkosten sind extrem gestiegen und unterliegen oft enormen Schwankungen, die Lieferungen verzögern sich teilweise sehr stark, es fehlt an Fachpersonal. Gerade Düsseldorf, wo viel gebaut wird, wird auch davon noch stark betroffen sein.

Die Bundesregierung plant bei der Insolvenz – ähnlich wie während der Corona-Pandemie – Änderungen und Entlastungen. Was halten Sie davon und haben Sie Vorschläge, was vielleicht mehr helfen könnte?

ANDRES: Die Unternehmen brauchen vor allen Dingen Planungssicherheit. Dabei hilft kein Zickzackkurs der Regierung. Gerade wird wieder eine Änderung der Insolvenzantragspflicht bei einer Überschuldung diskutiert. Grundsätzlich muss bei einer Überschuldung kein Antrag gestellt werden, wenn absehbar ist, dass man in den nächsten zwölf Monaten normal weitermachen und am Geschäftsleben teilnehmen kann. Diese Zeitspanne soll jetzt auf vier Monate verkürzt werden, um die aktuellen Planungsunsicherheiten zu berücksichtigen. Aber bei all diesen aktuellen Unwägbarkeiten sind auch vier Monate schon eine lange Zeit.

Welche Probleme sehen Sie dann genau bei dem Aussetzen der Insolvenzantragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit?

ANDRES: Dieser Vorschlag ist zusätzlich zu der Änderung der Überschuldung von der SPD wieder in Spiel gebracht worden. Einerseits ist es natürlich gut, dass die Geschäftsführer dann nicht mehr wegen Insolvenzverschleppung strafrechtlich haftbar gemacht werden können. Aber wenn ein Unternehmen kein Geld mehr hat, um seine Verbindlichkeiten zu bedienen, ist es handlungsunfähig. Ohne entsprechende Unterstützung in Form von Überbrückungshilfen und Kurzarbeitergeld hat man damit eigentlich nicht wirklich was geschaffen, um den Unternehmen zu helfen.

Und diese Hilfen gibt es gerade nicht?

ANDRES: Wir haben jetzt schon drei Ablehnungen von Kurzarbeitergeldanträgen bekommen, wenn als Begründung ausschließlich die Energieintensität aufgeführt wurde. Das scheint momentan die Linie der Bundesagentur zu sein.

Aber hilft es dann wieder, wie während Corona, viel Geld in die Unternehmen zu investieren?

ANDRES: Das ist eine Variante. Die andere wäre, dass man die Unternehmen doch in ein Insolvenzverfahren schickt. Da bekommt man derzeit für drei Monate die Löhne und Gehälter von der Arbeitsagentur bezahlt. Wenn das nun auf sechs Monate ausgeweitet würde, könnten die Unternehmen damit sozusagen überwintern und schauen, wie es im März/April aussieht. Dann hätte man im Rahmen des Verfahrens mehr Möglichkeiten, sich neu auszurichten und veränderten Marktbedingungen anzupassen.

Dennoch scheinen viele Unternehmen das vermeiden zu wollen.

ANDRES: Das böse Wort „Insolvenz“ ist in Deutschland – im Gegensatz zu England, den USA oder anderen Ländern – immer mit einem Scheitern verbunden. Daher scheuen viele sich vor diesem Schritt. Dabei verfügt das deutsche Insolvenzrecht mit der Eigenverwaltung und dem Schutzschirm über Sanierungsinstrumente, die sehr gut funktionieren. Wichtig hierbei ist aber immer das frühzeitige Handeln.

Gibt es denn eine Tendenz, ob Unternehmen sich eher erholen oder tatsächlich abverkauft werden müssen?

ANDRES: Da ist die Lage noch zu diffus, um eine Tendenz erkennen zu können. Was man aber merkt ist ein veränderter Investorenmarkt. Da gibt es solche, die jetzt ganz wild darauf sind, weil sie eine Chance sehen, günstig an gute Unternehmen zu kommen. Vor allem sind die an qualifizierten Mitarbeitern interessiert – Abbau ist da gar nicht gewünscht. Andere Investoren wiederum ist das alles zu heiß, die ziehen sich dann wieder zurück.

Wie blicken Sie in die nähere Zukunft?

ANDRES: Was ich fatal finde, ist, dass Geschäftsmodelle durch diese ganzen Hilfen zementiert werden – obwohl sie vielleicht gar nicht zukunftsfähig sind. Wir haben diesen Personalmangel. Wenn wir Stellen abbauen müssen, dann finden diese Menschen in der Regel ganz schnell einen neuen Job, egal welche Qualifikationen sie mitbringen. Ich sehe aber die Gefahr, dass wir als deutsche Gesellschaft keinem mehr eine finanzielle Belastung oder Unsicherheit zumuten wollen. Deshalb wird nicht so richtig erlaubt, dass sich Dinge entwickeln und flexibel bleiben. Gerade angesichts der vielen Krisen ist genau das aber wichtig: Handeln, wenn etwas nicht funktioniert.

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