Autor(en) / Quelle(n): Falkensteg
Die Insolvenzen bei Großunternehmen (Umsatz größer 20 Mio. Euro) sind auf Achterbahnfahrt.
Im dritten Quartal 2022 stiegen die Insolvenzanträge mit 33 Fällen um fast 74 Prozent, verglichen mit 19 Insolvenzen im zweiten Quartal und 33 in den ersten drei Monaten des Jahres. Auch gegenüber dem Vorjahreszeitraum sind die Verfahren um rund 74 Prozent angestiegen. Damals zählten die Gerichte nur 19 Pleiten, so der Insolvenzreport der Unternehmensberatung Falkensteg.
„Der Anstieg ist erwartbar, jedoch fällt er nicht so hoch aus, wie Anfang des Jahres von dem ein oder anderen erwartet“, erklärte Studienautor und Falkensteg-Partner Jonas Eckhardt. Für das laufende Jahr prognostiziert der Sanierungsexperte weiter steigende Insolvenzzahlen, die zwar über dem Vorjahr liegen, aber den Rekordwert von 2020 mit 181 Insolvenzen nicht erreichen werden. „Trotz der aktuellen Herausforderungen dürften wir am Ende des Jahres bei rund 130 Verfahren landen. Das entspricht gegenüber 2021 einem Plus von 71 Prozent“, so Eckhardt.
Dennoch bleibt das Insolvenzgeschehen sehr volatil und wird durch die Entwicklung vor allem bei den Energiekosten sowie staatlichen Hilfsmaßnahmen stark beeinflusst. Letztere bewahrten viele Unternehmen in der Corona-Pandemie vor einer Pleite. Dabei hat die Insolvenz eine sinnvolle Aufgabe im Wirtschaftsleben. Sie schützt Lieferanten, den Staat und Mitarbeitende vor unrentablen Unternehmen und Forderungsausfällen. „Durch die Hilfeleistungen haben sich sogenannten Zombieunternehmen deutlich vermehrt und binden Arbeitskräfte sowie wertvolle Ressourcen, die händeringend von marktfähigen Firmen gesucht werden. Zu diesen begehrten Ressourcen zählen nicht nur Mitarbeiter, sondern seit neuestem insbesondere auch die von diesen Unternehmen ohne echten volkswirtschaftlichen Mehrwert verbrauchte Energie. In der Politik muss ein Umdenken stattfinden, damit diese Unternehmen auch aus dem Markt ausscheiden“, erklärt Sanierungsexperte Jonas Eckhardt.
Schutzschirm wieder im Aufwind
Überraschend erlebt das Schutzschirmverfahren in diesem Quartal eine Renaissance. Jedes dritte insolvente Unternehmen nutzt die Sanierungsoption, darunter der Schuhhändler Ludwig Görtz, der Maschinenbauer Dücker und der SuperBioMarkt. Lediglich im zweiten Quartal 2020 gab es mit 13 Fällen mehr Schutzschirme innerhalb der vergangenen zehn Jahre. Normalerweise stellen sich pro Quartal zwischen drei und sechs Unternehmen unter den Schutzschirm. Die großen Unternehmen agierten in diesem Quartal zudem sehr vorausschauend und nutzen vermehrt die Sanierungsmöglichkeiten des Insolvenzrechtes. So meldeten weitere neun Firmen ein Eigenverwaltungsverfahren an.
Finanzierungskosten für distressed Käufe steigen
Die Anzahl der neuen Verfahrensausgänge ebbte im dritten Quartal 2022 wieder ab. Bisher konnten von den 76 Unternehmen, die 2021 einen Antrag stellten, 41 gerettet werden. Gerade einmal drei Unternehmen mehr als noch drei Monate zuvor. Mit knapp 40 Prozent (30 Verfahren) ist die übertragene Sanierung das bevorzugte Lösungsziel. Dagegen hat der Insolvenzplan nur einen geringen Anteil von 14 Prozent (11) an den Verfahrensausgängen.
Offensichtlich beeinflussen die Krisen um Energiepreise, Lieferstopps und Inflation mit einem mehrmonatigen Verzug die Sanierungsbemühungen. Die Zukunftsfähigkeit der insolventen Unternehmen lässt sich kaum mehr prognostizieren. Folglich halten sich immer mehr distressed Investoren zurück. Weiterhin verteuern sich die Finanzierungen für Firmenübernahmen. „Die Zeit des billigen Geldes ist eindeutig vorbei. Die Banken sind bei der Kreditvergabe sehr zurückhaltend geworden. Ferner belasten steigende Leitzinsen und ein Wegbrechen des Marktes für Risikofinanzierungen die distressed Transaktionen. Der Kauf eines insolventen Unternehmens durch einen Finanzinvestor findet praktisch nicht mehr oder schlicht noch nicht statt“, so Jonas Eckhardt.
China ist das größte geopolitische Risiko
Lediglich ein Fünftel der börsennotierten und fünf Prozent der mittelständischen Unternehmen haben ein funktionierendes Risikofrühwarnsystem implementiert, obwohl es gesetzlich vorgeschrieben ist, schätzt Prof. Dr. Werner Gleißner (TU Dresden, FutureValue Group AG) im Interview mit dem Insolvenzreport. Dabei seien die aktuellen Bedrohungen für Unternehmer größer als in den vergangen drei Jahren. „Das mit Abstand größte geopolitische Risiko hinter Russland zeigt sich jedoch in China. Das Reich der Mitte setzt bei seiner Expansionsplanung auf eine Zwei-Ring-Wirtschaft, die auch einen kompletten Exportstopp gegen den potenziellen westlichen Gegner ermöglichen würde. Dennoch wächst hierzulande die Abhängigkeit zu China“, warnt der Risikoforscher. Zunehmend kritischer werde deshalb der Standort Deutschland gesehen.
Unternehmen rät er, sich robust aufzustellen. Für die konkrete Risikoreduzierung bieten sich mehrere Handlungsoptionen an. Insbesondere sei der Ausbau der Kernkompetenzen wichtig, die eine Preissetzungsmacht verschaffen, oder eine Absicherung gegenüber technischen Risiken, beispielsweise durch eine redundante Auslegung von Maschinen. „Im zweiten Schritt sollte die finanzielle Nachhaltigkeit verbessert werden. Zum Beispiel durch mehr Eigenkapital und Liquiditätsreserven, um eine längere, problematische Krisenzeit zu überstehen“, erklärt Prof. Gleißner.
Über den Insolvenzreport „5 nach 12“
Die Restrukturierungsberatung Falkensteg recherchiert für den Insolvenzreport alle drei Monate das Insolvenzgeschehen. Dazu werden Informationen des Insolvenz-Portals, der Creditreform, des Statistischen Bundesamtes sowie von Insolvenzverwaltern ausgewertet und mit eigenen Analysen ergänzt. Während andere Statistiken die eröffneten Insolvenzzahlen auswerten, konzentriert sich der Insolvenzreport auf den früheren Zeitpunkt der Insolvenzanmeldung. Durchschnittlich liegt zwischen der Anmeldung und der Eröffnung ein Zeitraum von zwei bis drei Monaten. Damit dient der Insolvenzreport als Frühindikator bei den Großinsolvenzen.
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